Von Hummeln und Schmetterlingen: Die deutschsprachige Schreibdidaktik in Bochum

Die Open-Space Tagung in Bochum „Vernetzung und Qualitätskriterien in der Schreibdidaktik“ vom 22.-23. März bot die Möglichkeit über schreibdidaktische Themen zu diskutieren, neue Ideen und Konzepte zu entwickeln und über Wege für eine bessere Vernetzung nachzudenken. Ca. 70 Personen hatten sich angemeldet, von denen auch fast alle anwesend waren. Unter den TeilnehmerInnen waren FreiberuflerInnen, HochschulmitarbeiterInnen und studentische Peer-TutorInnen. Fast alle Schreibzentren aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hessen, Brandenburg, Bremen und Hamburg waren vertreten, sogar Schreibdidaktiker aus der Schweiz (Winterthur) und Österreich (Graz) nahmen teil. Wie gut wir teilweise bereits vernetzt sind, zeigte unser AK Schreibdidaktik Berlin-Brandenburg auf der Tagung: Wir vertraten nicht nur den regionalen AK, sondern zugleich das Schreibzentrum der Viadrina (Simone Tschirpke) und die Schreibdidaktik an den Universitäten Hildesheim (Jana Zegenhagen), Hannover (Nora Peters) und Göttingen (Ella Grieshammer).

Marktplatz der Ideen

Besonders anregend fanden wir das gewählte Format: Zunächst wurden „Anliegen“ bzw. Themenbereiche von den Teilnehmerinnen (und ein paar Teilnehmern…) auf einem großen Blatt formuliert, z.B.

Open Space-"Anliegen".
© AK Schreibdidaktik Berlin-Brandenburg

  • „Organisation der Langen Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“
  •  „Faculty-Students Partnerships“
  •  „Standards einer Peer-Tutoren-Ausbildung“
  • „Möglichkeiten zur praxisnahen Forschung in der Schreibdidaktik“
  •  „Journal der Schreibberatung (JoSch)
  • „Gründung eines Berufsverbands“
  • „Schreibberatung für Berufstätige“
  • „Zusammenarbeit von NachwuchswissenschaftlerInnen“ uvm.

Insgesamt kamen so rasch 23 Themen zusammen; ein 24. Thema („Öffentlichkeitsarbeit für Schreibzentren“) wurde spontan noch Freitag morgen eingebracht. Auch dafür bot das Format Raum.

Wer ein Thema vorschlug, stellte es kurz dem Plenum vor, pinnte es dann an die große Wand in eine Zeiteinheit, in der er/sie das Thema diskutieren wollte: Donnerstag um 12 Uhr oder Freitag um 10.30 Uhr. Die Themenrunden wurden auf insgesamt 7 Räume verteilt oder spontan wegen des schönen Wetters ins Freie verlegt.

Man musste sich also für eine Runde entscheiden, hatte aber auch die Erlaubnis, eine Gruppe zu verlassen und sich eine Pause zu gönnen („Schmetterling“) oder zu „hummeln“ (zwischen den Gruppen zu springen).

Diskussion über Peer- Tutoren-Ausbildung
© AK Schreibdidaktik Berlin-Br.

Dokumentation der Gruppe "Peer- Tutoren-Ausbildung"
© AK Schreibdidaktik Berlin-Brandenburg

Jede Gruppe dokumentierte ihre Ergebnisse abschließend im Flur. Ein großer Raum diente als „Café“ und Informationsbörse, dort hingen unsere „Steckbriefe“, die wir vorher den Organisatorinnen zugeschickt hatten.

Von der Idee zum Projekt

Am Freitag Nachmittag trugen wir im Plenum konkrete „Vorhaben“ zusammen, die sich aus den regen Diskussionsrunden ergeben hatten, und für die wir Unterstützung suchen:

  • Die Verbandsgruppe setzt einen Gründungsausschuss ein.
  • Die Zeitschrift „JoSCH“ sucht neue MitstreiterInnen, ReviewerInnen und MitarbeiterInnen.
  • Am 24.10.2012 soll um 11.55 in ganz Deutschland ein Schreib-Flashmob stattfinden.
  • Eine gemeinsame Datenbank für Protokollvorlagen und Datenerhebungen in den Schreibzentren soll erstellt werden usw.

Die letzte Runde bestand nun darin, dass sich zu jedem Vorhaben die Interessierten zusammensetzten und konkrete Schritte überlegten, um das Vorhaben in Gang zu setzen. Immer wieder wurde uns deutlich, wie sehr sich die SchreibdidaktikerInnen die Vernetzung untereinander wünschen. Als gemeinsame Plattform soll zunächst das Diskussionsforum schreibzentren.mixxt.de dienen.

Das war BÜZ!

Alles in allem:
B
(ehalten) werden wir die vielen neuen Kontakte.
Ü(berraschend) war die Vielfalt der diskutierten Themen und die Effektivität der Open-Space Methode, die das Erarbeiten konkreter, kleiner Ziele ermöglichte.
Z(ukünftig) sollte es weitere solche Formate geben, die SchreibdidaktikerInnen das Vernetzen und Austauschen ermöglichen.

Ein Riesendank an die Bochumer Organisatorinnen (samt Benny natürlich), die die Sache in die Hand genommen haben.

v.l.n.r. Mitglieder des AK Schreibdidaktik Berlin-Brandenburg Daniela, Simone, Jana (jetzt Hildesheim), Nora (jetzt Hannover)
© AK Schreibdidaktik Berlin-Brandenburg

The Writing University – ein Writing Center an der University of Iowa

Klingt das nicht traumhaft? Eine Universität, die sich selbst als „The Writing University“ bezeichnet! Hinter der Bezeichnung steht die Feststellung, dass Schreiben ein Markenzeichen der University of Iowa ist. Es gibt hier so viele Angebote zum Schreiben, und Schreiben ist insgesamt so wichtig, dass man leicht den Überblick verliert. Deshalb hat die Uni ein Webportal für alle Schreibangebote aufgebaut und nennt sich „writing university“.

Iowa Wegweiser

Das Schreibzentrum gehört, wie das Speaking Center, zum Department für Rhetorik

Angefangen hat es mit dem „Iowa Writer’s Workshop“, dem ersten Creative Writing Angebot eine Universität in den USA – das war 1897. Seit 1922 kann man an der University of Iowa mit Romanen, Gedichten und anderen Texten einen akademischen Titel erlangen, den Master of Fine Arts in Creative Writing. Seit dem hat die Universität unzählige SchriftstellerInnen ausgebildet, von denen viele berühmt geworden und z.B. den renommierten Pulitzer Preis gewonnen haben (17x bisher). Und berühmte SchriftstellerInnen, die nicht hier ausgebildet wurden, haben höchstwahrscheinlich mindestens ein Semester lang hier gelehrt, denn die Uni hat immer Gastlehrende. Mittlerweile gibt es außer dem Writer’s Workshop auch verschiedene Studiengänge in Creative Non-Fiction, Poetry, International Literature (auf Spanisch) und Spezialsierungsmöglichkeiten für BA-Studierende. Inzwischen ist Iowa City eine von drei Städten weltweit, die den Titel „Unesco City of Literature“ tragen dürfen. Ich habe mich in der Stadt ein bisschen an Walter Moers‘ „Stadt der träumenden Bücher“ erinnert gefühlt, denn an jeder Ecke ist ein Buchladen, in jedem Café sitzen schreibende oder Texte diskutierende Menschen herum und überall stehen Bücherdenkmäler.

Schreibzentrum University of Iowa

Blick ins Writing Center

In so einem Klima sollte ein Schreibzentrum doch hervorragend gedeihen. Und in der Tat gibt es an der Uni nicht nur ein Schreibzentrum, sondern jede Menge. Es gibt ein Schreibzentrum für Geschichtswissenschaften, eins für Ingenieure, eins für Wirtschaftswissenschaften, und sogar eins in der Medizin, das aber weniger beim akademischen Schreiben unterstützt und eher dafür da ist, gestresste Ärzte durch das Schreiben von Lyrik zu entspannen. Das Schreibzentrum, das ich besucht habe, gehört zum Department für Rhetorik und ist das Älteste von allen. Es wurde bereits 1938 gegründet. Wie alle der Schreibzentren, die ich bisher besucht habe, arbeitet es mit gut ausgebildeten Peer Tutoren. Aber es gibt eine Besonderheit, und das ist die „Iowa-Methode“: Neben den normalen Sprechzeiten, für die man sich anmelden kann, gibt es die Möglichkeit, sich gleich für ein ganzes Semester verbindlich anzumelden und sich dann 2x die Woche mit dem gleichen Tutor oder der gleichen Tutorin zu treffen. Bei diesen Treffen werden natürlich die für das Studium zu schreibenden Texte besprochen, aber wenn mal nichts aktuell anliegt wird kreativ-reflexiv geschrieben. Im Laufe der Jahre wurden reichlich Schreibaufgaben zu diesem Zweck entwickelt, z.B. um die eigene Schreibentwicklung oder den eigenen Stil zu reflektieren. Es gibt auch wechselnde Kunstausstellungen an den Wänden des Writing Centers, die zum Objekt für kreative Texte werden.

Außerdem gibt es drei Schreibgruppen im Schreibzentrum, eine für Non-Fiction, also Schreiben über eigene Erfahrungen, eine für Fiction und eine für Poetry. In der Non-Fiction-Gruppe, an der ich teilnehmen konnte, wurde erst ein berühmter Beispieltext mit bestimmten Stilmitteln gelesen, dann eine eigene entsprechende Schreibaufgabe durchgeführt und schließlich ein Text einer Teilnehmerin diskutiert, die diesen eine Woche vorher verschickt hatte. Die Autorin durfte sich erst nach der Diskussion selbst äußern.
In der Fiction-Gruppe wurde gleich die vorab verschickte Geschichte diskutiert und die Autorin durfte auch mit diskutieren. In die Lyrikgruppe habe ich es leider nicht geschafft.

Bei so viel kreativem Schaffen liegt es nahe, auch Texte zu veröffentlichen. Einmal pro Semester gibt das Schreibzentrum daher die Sammlung „Voices from the writing center“ heraus, in der Texte veröffentlicht werden, die im Schreibzentrum besprochen wurden.

Wie schon so oft habe ich auch hier wieder viele interessante Anregungen mitgenommen!

Multiliteracies Center: Vorbereitung auf eine globalisierte und digitalisierte Welt

Schild Multiliteracies CenterLetzte Woche war ich am Multilitercies Center der Michigan Tech University in Houghton, Nortern Michigan. Auf den Besuch dieses Schreibzentrums war ich gespannt, seit wir in unserem Team den Artikel „New Conceptual Frameworks for Writing Centers“ von Nancy Grimm gelesen und diskutiert haben (Quelle siehe unten). Darin führt Nancy Grimm drei Rahmenbedingungen für Schreibzentren im 21. Jahrhundert aus.

Rahmenbedingungen für Schreibzentren im 21. Jahrhundert

1. Schreibzentren im 21. Jahrhundert müssen im Kontext von globalen Varianten des Englischen arbeiten, d.h. sie müssen akzeptieren, dass es DAS Englische nicht mehr gibt. Schreibzentren müssen Studierende darauf vorbereiten, unterschiedliche Sprach- Varianten zu verstehen, weil sie das auch für ihre späteres Berufsleben brauchen.

2. Schreibzentren im 21. Jahrhundert verstehen unter „literacy“ nicht mehr nur Bildung im Sinne von klassischer Schriftsprache, sondern literacy umfasst z.B. auch visuelle und ikonische Kommunikation, das Verstehen der Unterschiede von Diskursen und das Beherrschen verschiedener Register („Multiliterarcies“). Multiliteracies bedeutet also zum Beispiel ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, welche sprachlichen Register in welchem Zusammenhang passend sind, und dazu gehört auch Körpersprache. Studierende können in Schreibzentren lernen, ein entsprechendes Bewusstsein zu entwickeln, flexibel und undogmatisch zu sein und dies später in ihre Berufsfelder einbringen.

3. Schreibzentren verstehen Multiliteracies als Möglichkeit, soziale Veränderungen zu bewirken. Demnach seien einige Selbstverständnisse von Schreibzentren überholt, so z.B. der Anspruch, „better writers“ (Stephen North) zu erzielen. Ziel müsse es statt dessen sein, die Schwierigkeiten erkennen zu lernen, die sich aus der Bewegung zwischen verschiedenen Sprachen, Bildungssystemen und Kontexten ergeben können. Auch der Anspruch des „minimalistischen“, also nicht-direktiven Tutorings sei demnach nicht mehr richtig. Vielmehr müssten Tutoren direkte und konkrete Wege und Möglichkeiten aufzeigen, die Schreibende in diesen komplexen Verhältnissen wählen können. Das Ziel ist es dann, die Besucher des Schreibzentrums zu befähigen, unterhalb der Oberfläche zu lesen und die Wertesysteme und Machtverhältnisse zu erkennen, die in verschiedenen Kontexten operieren.

Das ist natürlich eine sehr komprimierte Zusammenfassung des Artikels, dessen Lektüre ich sehr empfehle! Beim Lesen im Team waren uns damals, bei aller Faszination, doch einige Aspekte ziemlich abstrakt vorgekommen. Daher habe ich mich besonders gefreut, die Gelegenheit zu haben, Nancy Grimm kennenzulernen und ihr Multiliteracies Center zu sehen.

Michigan Technological University und ihr Multiliteracies Center

Die Michigan Technological University ist eine forschungsorientierte technische Uni mit gut 6000 Studierenden. Die meisten studieren technische Fächer wie Ingenieurswissenschaften. Seit einigen Jahren gibt es einen hohen Anteil internationaler Studierender (ca. 20 %). Das Multiliteracies Center gehört zur Fakultät für Arts and Humanities, ist aber für alle Studierenden da. Nancy arbeitet momentan zusammen mit zwei Graduate Assistant Directors, zwei Undergraduate Assistants und ca. 30 studentischen Coaches (so heißen die Peer Tutoren dort). Die Administratorin ist derzeit im Mutterschutz.

welcome reception multiliteracies center

Nancy Grimm bei der welcome reception

Einen Teil des Teams konnte ich gleich am ersten Abend kennen lernen, als Nancy uns zum Abendessen zu sich nach Hause einlud. Am nächsten Morgen wurde ich dann mit einer Welcome-Reception im Center begrüßt, zu der auch der Dean des Departments und verschiedene Kolleginnen anderer Abteilungen kamen. Insgesamt habe ich drei Tage lang bei Beratungen und Lerngruppen hospitiert, an Teamtreffen und Weiterbildungen teilgenommen und an einem Abend einen kleinen Vortrag über die Entwicklungen in Deutschland gehalten.

Der physische Raum des Multiliteracies Center

Ich habe mich sehr wohl gefühlt und dazu hat nicht nur das nette Team beigetrafen, sondern auch die Räume sind einfach einladend. Der Hauptraum ist ungefähr so groß wie unser Schreibzentrum in FfO und durch große Fenster zum Flur hin sehr offen. Im Raum verteilt stehen viele kleine Runde Tische mit bunten Stühlen für die Beratungen. Da die Tische und Stühle Rollen haben, lässt sich der Raum flexibel verändern. Es gibt außerdem eine Schreibtischecke für die Administratorin und eine am Eingang, die sich als Rezeption verwenden lässt, aber nicht immer besetzt ist. Mir ist gleich aufgefallen, dass eine Wimpelkette „Frieden“ in verschiedenen Schriften und Sprachen wünscht und eine Weltzeituhr anzeigt, wo es gerade hell ist auf der Erde. Vom Hauptraum gehen verschiedene kleine Räume ab: Ein Büro für die Graduate Assistants, drei kleine

Appointments im Multiliteracies Center

Gespräche im Multiliteracies Center

Gruppenarbeitsräume, ein Raum für die Coaches und ein Flur, der zu ein paar weiteren Büros und Besprechungsräumen führt. Alle angrenzenden Räume haben Fenster in den Türen und Wänden, so dass ein sehr transparenter und offener Eindruck entsteht.

Writing Coaches

Die Coaches kommen aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen, viele sind Natur- und IngenieurswissenschaftlerInnen. Mit Motivations- und Empfehlungsschreiben können sie sich für die Stellen bewerben. Wenn sie nach dem Bewerbungsgespräch eingestellt werden, absolvieren sie ein einmal pro Woche stattfindendes Seminar und nehmen mit dem gesamten Team an den wöchentlich stattfindenden Dienstagabend-Weiterbildungen teil. Außerdem hospitieren sie, suchen selbst Schreibberatungen auf und treffen sich einmal wöchentlich mit erfahrenen Coaches zum Erfahrungsaustausch. Nancy bietet außerdem wöchentliche Lektürerunden an, in denen sie mit interessierten Graduate Students Texte liest und diskutiert.

tutor's pieday

Writing Coaches feiern in ihrem Raum den "Pie Day", den Tag des griechischen Buchstaben pi, der für die Zahl 3,14... steht. In der amerikanischen Datumsschreibung entspricht das dem 14.3. und pie ist Kuchen, den hatte eine der Coaches für alle gebacken.

Die Coaches bieten Einzelberatungen an und moderieren Lerngruppen. Täglich von 11-15 Uhr gibt es offene Sprechstunde, die immer mit mehreren Coaches belegt ist. Darüber hinaus haben alle Coaches bestimmte Zeiten, in denen sie für verabredete Beratungen im Center sind. Angestrebt werden „weekly appointments“, d.h. eine regelmäßige wöchentliche Zusammenarbeit mit bestimmten Studierenden.

Study Teams (Lerngruppen)

Ein wichtiger Bestandteil des Centers sind die Lerngruppen. Vor ein paar Jahren wurde das Studium Generale der Michigan Tech neu strukturiert und Nancy hat darauf hingewirkt, dass die Studierenden mehr interkulturelles Wissen erlangen. Seit dem müssen alle Studierenden eine große Vorlesung zu „World Cultures“ besuchen oder alternativ eine Sprache lernen. Die Vorlesung führt in 2 Lesungen pro Woche in verschiedene Kulturen der Weltgeschichte und von Heute ein und wird ergänzt durch wöchentliche Film- und Musikvorführungen. Die Studierenden müssen verschiedene Texte und Examen schreiben. Wenn sie wollen, können sie sich zu Lerngruppen zusammenschließen, die sich 2x wöchentlich im Multiliteracies Center treffen und von Coaches moderiert werden. Es nutzen sehr viele Studierende diese Gelegenheit und die Statistiken zeigen, dass sie oft deutlich bessere Noten erzielen als Kommilitonen die keine Lerngruppen haben. Die Coaches helfen den Gruppen, das Studieren zu lernen. Sie diskutieren mit ihnen Inhalte der Vorlesung, aber es geht auch um das Mitschreiben, um Zeitplanung, Lernsysteme, Interpretation von Filmen und Musik und effektive Vor- und Nachbereitung. Thema ist auch das Zusammmenarbeiten in den Teams, die oft interkulturell gemischt sind.

Was ist es also, das dieses Zentrum zu einem Multi Literacies Center macht?

Zum einen ist es die Ausbildung der Coaches. Es ist Nancy sehr wichtig, die literacies, die Studierenden schon mitbringen, zu würdigen. Sei es die Muttersprache oder sei es die mathematische Sprache der Ingenieure. Das Center hilft dabei, weitere literacies auszubauen. Es geht nicht um Defizite. Die Coaches sollen den Studierenden dabei helfen, zu verstehen, wie unterschiedlich verschiedene Sprachen und Diskurse funktionieren.Multiliteracies Center

In den Gesprächen ging es oft nicht in erster Linie um mitgebrachte Texte, sondern um das Studierenden im Allgemeinen: Was verwendest du für Techniken zum Mitschreiben, wo und wie lernst du am besten, hast du verstanden, was von dir verlangt wird, wie motivierst du dich wenn Draußen so schön die Sonne scheint? Wenn internationale Studierende kamen, drehte sich das Gespräch erstmal um Fremdsprachen, Auslanderfahrungen und Zukunftspläne. Dabei hatte ich oft wirklich mehr den Eindruck eines Gesprächs als einer Beratungssituation. In einem der Gespräche erkundigte sich ein Austauschstudent aus Korea, wie er bestimmte Steuerformulare ausfüllen muss. Dann haben Coach und Student gemeinsam überlegt, wie sie das herausfinden können.

Auch die Werbung des Centers stellt nicht das Schreiben in den Mittelpunkt, sondern erwähnt es gleichberechtigt neben Denken, Design und Kommunikation, alles mit dem Ziel des akademischen Erfolgs. Schreiben wird also nicht isoliert von anderen akademischen Tätigkeiten.

Als etwas Besonderes habe ich auch die Lerngruppen erlebt. Sie erinnern von der Idee her an die Tutorien, die es bei uns zu großen Vorlesungen gibt. Aber die Lerngruppen sind mit 4-8 Studierenden viel kleiner und persönlicher und zielen so darauf, den Studierenden zu zeigen, wie sie mehr erreichen können, wenn sie gemeinsam arbeiten. Sie sind außerdem freiwillig, was sicherlich zu einer anderen Arbeitsatmosphäre beiträgt.

Weltzeituhr Multiliteracies Center

Weltzeituhr Multiliteracies Center

Alles in allem hatte ich den Eindruck einer sehr erfolgreichen Verschmelzung von Schreibberatung, Sprachlernberatung, Lernberatung, interkulturellem Training, Studienberatung und Sozialberatung. Ich habe massenhaft Anregungen mitgenommen für das neue Zentrum für Schlüsselqualifikationen, das an der Viadrina entstehen soll und denke, dass alle Bereiche dieses Zentrums sehr eng zusammenarbeiten sollten!

Literatur

Grimm, N. M. (2009) ‚New Conceptual Frameworks for Writing Center Work‘ The Writing Center Journal 29 (2), 11-27

Kein Blatt blieb unbeschrieben

Motivierendes Motto bei der Langen Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten 2012

Foto: Schreibzentrum Viadrina

Nach dem das Schreibzentrum der Europa-Universität Viadrina die „Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“ 2010 erstmalig ins Leben gerufen hatte, veranstaltete es auch in diesem Jahr in der Nacht vom 1. zum 2. März 2012 gemeinsam mit 13 deutschen und 2 US-amerikanischen Schreibzentren eine gemeinschaftliche Schreibnacht. Das Event ist ein gutes Beispiel dafür, dass gemeinschaftliche Aktionen von Schreibzentren dazu beitragen, deren Arbeit und Wirken öffentlich sichtbar zu machen. Bei Studierenden als auch in den Medien stieß es auf große Resonanz.

Am Schreibzentrum der EUV waren es ca. 35 Studierende, die während der Langen Nacht kein Blatt unbeschrieben ließen. Unter den TeilnehmerInnen befanden sich neben Studierenden der kulturwissenschaftlichen, rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten der EUV diesmal auch Studierende anderer Universitäten aus Berlin, die extra zur Langen Nacht angereist waren. Pünktlich um 20 Uhr trafen die meisten Teilnehmer ein. Die Hausarbeitennacht hatte begonnen:

Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten 2012 an der Europa-Universität Viadrina

Foto: Schreibzentrum Viadrina

20:00-20:30: Begrüßung und Startschuss, alle lernten sich kennen und stellten sich ihre Schreibprojekte vor. An der Pinwand reihten sich ausgefüllte Zettel aneinander:“ Ich bin Ania, heute Nacht beschäftige ich mich mit dem Thema: ‚Industrialisierung und Verstädterung in deutschen Städten um 1900’ und wenn ich mein Ziel erreicht habe, dann gönne ich mir vieeeeeeel Schlaf!“

20:30-23:00: Das große Schreiben hatte begonnen. Mit ihren Laptops, Büchern und Hausschuhen suchten sich die Teilnehmer einen Schreibplatz in einem von den SchreibtutorInnen gemütlich dekorierten Räumen. Für die 35 Schreiber gab es zwei große Schreibräume, ein Computerkabinett, einen Ess- und Beratungsraum, sowie einen Ruheraum.

Hausschuhe bei der Langen Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten 2012

Foto: Schreibzentrum Viadrina

23:00-02:00: Die Schreibberatung wurde rege in Anspruch genommen. Entstandene Texte und offene Fragen konnten hier gleich besprochen werden. Die Schreibberaterinnen nahmen sich viel Zeit, um mit den Teilnehmern über Schreibprozesse zu sprechen und Texte zu reflektieren. Gemeinsam mit den Ratsuchenden probierten sie unterschiedliche Schreibmethoden aus, die helfen, ein geeignetes Thema zu finden, einzugrenzen, die Hausarbeit besser zu strukturieren oder zu überarbeiten. Schreibtutorin Anja besprach mit einer

Studierenden die Hausarbeit zum Thema „Freewriting als Methode des wissenschaftlichen Schreibens“. Nachts beraten machte Spaß, davon war zumindest Schreibtutorin Julie überzeugt, ihre letzte Beratung endete um 4:30 Uhr.

Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten 2012 Europa-Universität Viadrina

Foto: Schreibzentrum Viadrina

2:00-04:00 Zwischendurch gab es abwechslungsreiches Programm und viele Muntermacher: Kurz nach Mitternacht, während die meisten Studierenden intensiv an ihren Hausarbeiten tüftelten, rief Tutor Jovan zumNachtspaziergang auf. Um munter zu bleiben leitete Tutorin Luise Schreibtischjoga an und Simone rief um 03:30 Uhr zu einer Kissenschlacht auf. Wer schlafen wollte suchte sich einen Platz im Ruheraum, wo Decken und Schlafsäcke bereit lagen.

04:00-06:00 Was machen denn die anderen beteiligten Schreibzentren? Über Twitter und einer Live-Video- Schaltung standen wir mit anderen beteiligten Schreibzentren in Verbindung. Hierdurch konnten wir uns untereinander austauschen und bekamen Einblicke in die Nachtaktivitäten der anderen Schreibzentren.

Schreibende bei der langen Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten

Foto: Schreibzentrum Viadrina

06:00 Es wurde langsam hell, der Tag begann. Am Freitagmorgen sind dann tatsächlich viele Texte entstanden, Ideen umgesetzt und Fragen beantwortet worden. Eine Studierende hatte ihre Hausarbeit sogar zu Ende geschrieben. Es ging zum Frühsport in den Nebenraum.

07:00-08:00 Durchhalten bis zum Sonnenaufgang wird belohnt. Es warten Sekt, Obst und frische Brötchen: Am gemeinsamen Frühstück nahmen immerhin noch 15 Studierende teil. Hier wurden die Erfolge der Nacht gefeiert und der Morgen begangen.

08:00 Die letzten Studies verließen zufrieden aber auch sichtlich ermüdet das gelbe Backsteingebäude in der August-Bebel-Straße und das Schreibzentrumsteam konnte auf eine ereignisreiche Nacht zurückblicken.

Unser Fazit: Die Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten ist eine gute Möglichkeit, Studierende auf das Angebot des Schreibzentrums aufmerksam zu machen und Gespräche über das Schreiben anzuregen. Außerdem hat das Event deutlich gezeigt, dass die Nachfrage nach Aktionen der Universität, die das wissenschaftliche Schreiben mal anders gestalten, in den letzten Jahren deutlich angestiegen ist. Auch für unser Team war das Event wieder eine bereichernde Erfahrung, indem wir Teamspirit er- und gelebt haben. Die nächsten langen Nächte könnten jedoch früher beginnen und enden, so dass Schreibende und TutorInnen noch konzentrierter und aufmerksamer arbeiten können. Die gemeinschaftliche Aktion mit den anderen Schreibzentren hat gezeigt, dass wir zusammen vieles erreichen können und weitere Aktionen gemeinsam in Angriff nehmen sollten.

Anja Schulz und Simone Tschirpke

Writing Center Leadership Series

Was mich am hiesigen Schreibzentrum besonders beeindruckt, ist, wie sehr Brad nicht nur an sein eigenes Schreibzentrum denkt, sondern weit darüber hinaus auch an die Sicherung der Qualität anderer Schreibzentren. So war er der Mitbegründer der jährlichen Writing Center Summer Institutes, die es Schreibzentrumsleitenden ermöglichen, sich eine Woche lang intensiv weiterzubilden und auszutauschen (bei dem Writing Centers Summer Institut 2009 hatte ich ihn kennen gelernt). Weiterbildung und Austausch bietet auch das schon mehrfach erwähnte Madison Area Writing Center Colloquium. Und innerhalb seines Teams sorgt er gut dafür, dass diejenigen, die nach dem Abschluss in Schreibzentren Leitungspositionen übernehmen möchten, sich gut darauf vorbereiten können. Mit großem Erfolg: Allein 2011 wurden sieben Alumnis des hiesigen Schreibzentrums in Leitungspositionen an anderen Unis eingestellt. Im Schreibzentrum hängt eine Karte, die aufzeigt, wo überall Ehemalige in Schreibzentren arbeiten – ich werde darauf bestehen, dass die Karte um Deutschland erweitert wird!

Schreibzentrums Alumni Karte

In diesem Semester gibt es die „Writing Center Leadership Series“, bei der interessierte Peer Tutoren ihr Wissen über Schreibzentrumsleitung und Leitung von Writing-Across-the-Curriculum-Programmen erweitern können. In vier anderthalbstündigen Sitzungen vermittelt Brad Basiswissen über die Aufgaben von Schreibzentrumsleitenden, über die Rekrutierung und Ausbildung von Peer Tutoren und Mitarbeitenden, über Finanzierung und Fundraising und über mögliche Argumentationswege für die Begründung von Schreibzentren. Zwischen den Sitzungen werden Grundlagentexte gelesen und kleinere Schreibaufgaben bewältigt. Dieses Mal zum Beispiel sollten wir eine Art Mission Statement für unser Wunsch-Schreibzentrum schreiben. Da ich mich noch gut daran erinnere, wie wir im Team in Frankfurt (Oder) vor anderthalb Jahren einen ganzen Sommer damit zugebracht haben, unser Mission Statement zu entwickeln, war mir klar wie schwierig diese Aufgabe ist und ich war froh, dass ich auf diese schon geleistete Arbeit zurückgreifen und sie ins Englische übersetzen konnte. Allerdings habe ich dabei auch gemerkt, dass sich meine Perspektive durch den Aufenthalt hier verändert und ich inzwischen einiges wieder anders formulieren würde. Jedenfalls war es sehr spannend, die Texte der anderen zu lesen und zu diskutieren. Alleine über die Namen der Zentren oder die Bezeichnungen für die Peer Tutoren (Consultants, Assistants, Collaborators…) ließe sich ewig reden. Brad meinte allerdings, es könnte auch zu viel werden, denn letztendlich würden die Studierenden auch jenseits des Namens schnell merken, um was es im Schreibzentrum geht und was wir anbieten.

Mission Statements für Schreibzentren

Die Lektüre war auch wieder sehr interessant für mich. So bin ich zwar schon öfter darauf gestoßen, dass über den Ansatz der nicht-direktiven Beratung kontrovers diskutiert wird, aber ich hatte mich bisher noch nicht systematisch mit dem Thema befasst. Peter Carino zeigt in seinem Artikel „Power and Authority in Peer Tutoring“ auf, dass es schon verschiedene Debatten dazu gab, ob Nicht-Direktivität Peer Tutoren nicht vor ein Dilemma stellt und unlösbare Konflikte heraufbeschwört. Denn es gibt durchaus Ratsuchende, die verärgert sind, wenn Tutoren sich weigern, Bemerkungen in ihre Texte zu schreiben oder auf Fragen mit Gegenfragen antworten. Auch stimmt es nicht immer, dass Peers in der Beratung gleichgestellt sind, oft haben die Tutoren mehr Wissen. Wir haben diese Themen in Frankfurt (Oder) schon oft diskutiert, daher ist es schön für mich, nun zu wissen, wo ich die passenden Texte dazu finde.

Gut gefallen hat mir auch ein Artikel von Tom Truesdell über die Anwesenheit der Leitungspersonen im Schreibzentrum. Er hat untersucht, wie es sich auswirkt, wenn Leitende ein eigenes Büro und viele Verpflichtungen innerhalb der Universität haben und deshalb nicht mehr viel im Schreibzentrum anwesend sind. Dabei kam heraus, wie wichtig die Tutoren es finden, dass sie die Leitenden regelmäßig sehen. Unser aus der Not geborenes Ein-Raum-Wunder in FfO, bei dem das Schreibzentrum zugleich unser Büro ist, bietet in dieser Hinsicht einen großen Vorteil!

Angesichts der momentan in Deutschland so erstaunlich zahlreich entstehenden Schreibzentren ist es vielleicht eine gute Idee, darüber nachzudenken, wie auch wir unseren Peer Tutoren eine berufliche Perspektive im Bereich der Schreibzentrumsarbeit aufzeigen können. Und eine Alumni-Karte können wir ebenfalls aufhängen: Gruß nach Hannover zu Nora!

Erwähnte Texte:

Carino, P. (2003) ‚Power and Authority in Peer Tutoring‚ in The center will hold – critical perspectives on writing center scholarship Logan, Utah: Utah State Univ. Press, 96-115

Truesdell, Tom (2004) ‚Don’t forget us: the impact of director presence on tutors‚ The Writing Lab Newsletter  29 (3), 1-5

Eine lange Nacht (der aufgeschobenen Hausarbeiten)

2.3.2012, 6:30 Uhr, Gedicht am Ende der Langen Nacht

Juliane Patz:

Eine lange Nacht (der aufgeschobenen Hausarbeiten)

 

Ich habe rote Kürbisse mit Pfirsichen geküsst,

als helle Lampen ernste Forschertexte fanden,

habe aus dem süßen Saft der ehrlichen Recherchen getrunken

und freundlich die Tropfen aufgefangen.

Ja, ich war da –

und ihr weisen Augen

und ihr treuen Augen

und ihr jungen Augen

habt mich gesehen.

Und ich war stolz,

dass ich euch geben konnte nächtliche Energie,

Stunden, die ich nicht zähle

und Worte, die ich nicht wäge.

Ich lehnte mich an mein Kissen,

als mein Herz zu ticken begann.

Es klappern Tastaturen

und die Uhren

haben ihren eigenen Takt

nach so einer Nacht.

Schon gähnen die Weckergeweckten, die arbeiten gehen,

auch im Radio sitzt wieder jemand bereit,

doch hier ist noch und nöcher

und jetzt erst recht

eine Hausarbeitendurchhaltezeit.